Michael Nungesser zur Ausstellung `Birgit A. Jansen - Malerei´ in der Remise DeGeWo, 2001
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde der Kunst,
die Ausstellung von Birgit A. Jansen zeigt eine Reihe von Gemälden, meist Acryl oder Mischtechnik auf Nessel, die in den letzten Jahren entstanden sind. Die
Ausstellung hat keinen eigenen Titel, und auch die Gemälde entbehren solcher thematischen Bestimmungen oder Andeutungen – es sind allesamt Werke "ohne Titel". Gezeigt wird "Malerei" – dieses
schlichte, dem Namen der Künstlerin beigefügte Wort genügt als Richtschnur. Alles andere vermitteln die Bilder. Kunst pur, wenn man so will, ohne Schnörkel, ohne literarische Verankerungen, ohne
außerkünstlerische Orientierungsmarken. So einfach wie schwer. Denn die Bilder sind, nach landläufiger Bezeichnung, abstrakt. Natürlich ist Abstraktion als Ausdrucksform und Wesensmerkmal der
modernen Kunst längst akzeptiert, doch wird sie noch lange nicht immer verstanden, schlimmstenfalls sogar als dekorative Inszenierung mißverstanden.
An Einsicht gewonnen hat man mit dem Begriff "abstrakt" also wenig, denn abstrakt umfaßt so vieles wie gegenständlich. Es ist als Aussage noch unzulänglich und
unspezifisch. Es gibt die verschiedensten Arten der Abstraktion, wie sich auch das Arsenal der Gegenstände in unterschiedlichste Kategorien aufteilen läßt. Man könnte von organischer wie
anorganischer Abstraktion sprechen, von weicher und harter, kalter und warmer, flächiger und räumlicher, bunter und monochromer, geordneter und ungeordneter undsoweiter. Die Kunstgeschichte, aber
auch die Künstler selbst, haben zahlreiche Etikettierungen gefunden. Richtungen und Tendenzen sind entstanden, zwischen konkret-konstruktiv bis expressiv-informell, des weiteren surreal,
skriptural, gestisch, minimalistisch. Doch entscheidend ist letztlich das Gesamtwerk eines einzelnen Künstlers oder einer einzelnen Künstlerin, da in ihm die ganz eigene und
individuelle Handschrift allgültige Form gefunden hat, insofern sie gleichermaßen Motiv, Thema und Inhalt umfaßt. Form ergibt das Werk, sie bildet sein Fundament und darin geht es
auf.
Fast paradox erscheint in diesem Zusammenhang die Aussage von Birgit A. Jansen: "Ich betrachte meine Arbeit grundsätzlich als eine gegenständliche." Sie mag darauf verweisen, daß die Künstlerin, die an der Düsseldorfer Kunstakadmie studiert hat, aber schon lange in Berlin lebt und arbeitet, von der Zeichnung menschlicher Figuren ausgegangen ist. Umgesetzt in die Malerei sind diese Figuren mit der Zeit immer blockhafter geworden, und nicht die Einzelfigur stand im Vordergrund, sondern die Beziehung der Figuren - oder Formen - zueinander. Gemeint ist aber weniger, daß die Bilder vor langer Zeit einmal einen gegenständlichen Ausgangspunkt besaßen, der, jeglicher illusionistischen Erscheinung entkleidet - also im genauen Wortsinne von abstrakt, das aus dem Lateinischen gebildet, ab- oder wegziehen bedeutet - in eine neue Bildsprache überführt wird, gemeint ist das Arbeiten selbst. "Das Bild wird zum Gegenüber", wie Birgit A. Jansen sagt, an dem man sich abarbeitet. Malen ist eine ganz und gar gegenständliche Auseinandersetzung. Es ist der Umgang mit verschiedenen Materialien, und auch das Ergebnis, also das fertige Bild, ist ein Gegenstand. Ein neuer Gegenstand, der die Realität nicht widerspiegelt, sondern sich ihr zugesellt. Mit den Worten der Künstlerin: "Jedes Bild ist eine neue Wirklichkeit."
Natürlich ist ein Bild kein gewöhnlicher Gegenstand, vor allem keiner, der eine bestimmte Funktion zu erfüllen hätte. Er ist ein Gegenstand der Reflexion, sowohl von seiten seines
Herstellungsprozesses wie von seiten seiner Rezeption. Wenn er sich nicht an der äußeren Realität orientiert, oder nicht mehr oder nur noch in Spurenelementen, dann an einer Inneren. "Meine
Malerei verstehe ich als das Finden von inneren Bildern", sagt Birgit A. Jansen. Das Finden ist mit einer langen Suche verbunden, mit Versuchungen, Abweichungen, Korrekturen, Irrwegen. Es ist
nicht auf etwas Festes oder Vorgegebenes bezogen, das methodisch-strukturierend in einer prästabilisierten harmonischen Komposition zur Ruhe käme, aber auch nicht auf spontane psycho-physische
Ausdrucksformen radikaler Subjektivität. Finden ist für die Künstlerin mit Offenheit, Kombinationsvermögen und Zuständlichkeit verbunden, im Sinne von Er-Finden auch mit Forschen,
Experimentieren, Einbeziehung von Zufall und Transparenz des Arbeitsprozesses.
Jansens
Gemälde durchlaufen in der Phase des Suchens eine Folge von intuitiven Entscheidungen, die nicht abzureißen scheinen, bedenkt man die häufigen Übermalungen, Neuformulierungen, Umstrukturierungen,
teilweise Zerstörung von Bildern, manchmal über Jahre hinweg. Typisch hierfür ist auch das von der Künstlerin verwendete Prinzip der Collage – übrigens wiederum ein gegenständliches Element, das
in die Werke Eingang findet. Sie klebt zum Teil farbige Papiere, meist Packpapier, auf die Leinwand und überdeckt damit Vorhandenes, übermalt sie wieder, reißt sie ab und legt erneut Farbe
darüber, wobei Aussparungen, also indirekt entstandene, meist geometrische Figuren, die darunter liegende Schicht erkennbar lassen. Farbe wird mit extrem breiten Pinseln verstrichen, mit Spachtel
oder anderen Gerätschaften, manchmal ein einziger Auftrag als gültige Form stehengelassen. Sie taucht auch Gegenstände aus Stein oder Styropor mit glatten rechtwinkligen Flächen in Farbe und
drückt sie auf die Leinwand, wodurch direkt geformte balkenartige Figuren entstehen.
Collage und De-Collage werden von Jansen nicht als eigenwertige Medien genutzt, bei denen Realitätsfragmente oder Abrißspuren offensichtlich bleiben, sondern in
einem sehr malerischen Sinne als technisch-ästhetische Hilfsmittel. Damit erreicht sie besondere Qualitäten wie Kontur, Struktur und Relief, die im fertigen Bild als einem Ganzen aufgehen.
Zugleich besitzen Collage und De-Collage als Entstehungsmomente einer Arbeit spielerische Aspekte, die neue Perspektiven eines Vorher-Nachher ergeben. Auch die Fotografie spielt für Jansen eine
gewisse Rolle, obgleich dies für die hier ausgestellten Werke nicht gilt. Doch es gibt eigene Fotoserien alltäglicher, meist ganz nah gesehener und sie verfremdender Dingkonstellationen, die eine
verblüffende Nähe zu manchen gemalten Bildern aufweisen. Beides hat die Künstlerin auch in Parallelkompositionen miteinander kombiniert. Fotografieren hat somit eine begleitende und inspirierende
Funktion. Die Affinität zu baulichen Materialien und der Struktur ihrer Anordnung, Reihung oder Stapelung gibt Hinweise auf das bildnerische Denken der Künstlerin.
Die langen Arbeitsprozesse, die das "Denken in Formzusammenhängen", wie Jansen sagt, begründen, sind nicht Ausdruck von Unsicherheit, sondern Resultat einer
Expedition ins Ungewisse. Jansen erinnert an Kierkegaard: "vor mir stets ein leerer Raum, was mich vorwärtstreibt ist eine Konsequenz, die hinter mir liegt". Das Suchen im Finden zu vollenden,
verlangt nach langen Wegen, um zu Ergebnissen zu kommen, die die Künstlerin als "glaubhaft" oder "gültig" akzeptieren kann. Akzeptieren für sich selbst, aber auch als Position, die für den
einfühlsamen Betrachter nachvollziehbar ist. Wie verhalten sich nun in ihren Bildern die malerischen Grundelemente von Linie, Farbe, Fläche? Linien spielen in den Gemälden eine marginale Rolle:
Konturen komplexer geometrischer Gebilde, entstanden durch Abdruck oder Aussparung, oder freistehende einzelne Striche, die die Fläche energetisch aufladen. Farben dominieren: Blau, Rot, Braun,
Weiß und Schwarz, meist zwei oder drei in einem Bild, nicht in reiner Form, sondern als vibrierende Mischungen. Kontraste bestehen zwischen Grundton und geometrischen Figuren. Malerei in und
auf der Fläche
Das Linie, Farbe und Fläche verbindende Element sind zum einen die dynamischen Pinselstriche, teils mit tropfartigen Laufspuren, die kreisförmige, strudelnde oder
vorwärtsstrebende Bewegungsrichtungen andeuten, zum anderen die sich aus den Überlagerungen ergebenden haptischen als auch in die Tiefe führenden Strukturen. Sie verleihen den Bildern eine
körperhafte Dichtigkeit und hautähnliche, schrundige, den Tastsinn ansprechende, schimmernde Oberfläche. Manche Kompositionen weisen eine Zweiteilung auf, wie sie etwa dem Dyptichon
traditioneller Malerei entspricht. Damit verbundene Hell-Dunkel-Kontraste lassen an unterschiedliche Sphären, Lichtintensitäten oder Aggregatzustände denken. Welten treffen aufeinander,
verschmelzen nicht sondern koexistieren. Die zeitliche Abfolge der Übermalungen ergibt zudem ein stimmungshaftes und spannungsgeladenes Raumklima und lädt Bilder magisch auf. Zitat: "Man versteht
diese Magie überhaupt nicht. Es sind dicke, übereinander aufgetragene Farbschichten, deren Effekt von unten nach oben durchscheint. Dann wieder meint man, ein Dampf sei über die Leinwand
geblasen; anderswo, es sei ein leichter Schaum darauf verteilt...Nähert man sich, verschwimmt alles, wird flach und verschwindet; entfernt man sich, bildet und erschafft alles sich neu." Was der
Enzyklopädist Denis Diderot im 18. Jahrhundert über den französischen Maler Chardin schrieb, trifft auch auf Jansens Bilder zu. Sie wirken lebendig, atmend, pulsierend. Man ahnt und spürt eine
Ferne, ein Dahinter, ein sanftes Rumoren, selbst wenn man nichts von den komplexen additiven Arbeitsprozessen weiß.
Momente von Bewegung ergeben sich aus den Arbeitsspuren auf den Bildern, deren Formate oft den Körpermaßen der Malerin entsprechen, sie ergeben sich aber auch aus
der unterschiedlichen Anordnung der geometrischen Figuren und ihrer durch Positiv-Negativ-Effekte bestimmten Position in der Fläche. In verschiedene Richtungen weisend, am Bildrand andockend oder
über ihn hinausgehend, erscheinen sie wie frei flottierend im Raum. Andere, die ihre Entstehung Auslassungen zwischen breitflächigen Übermalungen oder Verflechtungen von tuchähnlichen Farbbahnen
verdanken, vermitteln eher den Eindruck von schwarzen Löchern oder Raumdurchbrüchen. Manche Bilder haben kartographischen Charakter, die Figuren ähneln Umrissen von Plätzen, Straßen oder
Gebäuden. Immer aber bewegen sich diese Anmutungen in einer Sphäre geheimnisvoller Offenheit. Denn: viele Zugänge zu den Bildern sind möglich. Auch beim Betrachten heißt es: Suchen und Finden.
Und: sich ständig erneuern.